Stellungnahme zu den Corona Infektionen an der Stadtteilschule Veddel

Die Poliklinik Veddel fordert mehr Ressourcen für einen besseren Schutz von vulnerablen Communities in der Corona-Pandemie.

 

Trotz der relativ glimpflich verlaufenden ersten Pandemie-Phase auf der Veddel und des vielfältigen nachbarschaftlichen Engagements, war bereits im Frühjahr erwartbar, dass die Corona-Pandemie sozioökonomisch schlechter gestellte Viertel besonders hart treffen wird. Das hatten Zahlen aus New York und Großbritannien, aber auch das Wissen um die sozialen Determinanten von Gesundheit angekündigt. Die in der vergangenen Woche, durch eine Massentestung in der Schule auf der Veddel aufgefallenen fast 100 Corona-Infektionen bestätigen diese Annahme.

„Wir haben davor gewarnt. Es war absolut naheliegend, dass in Stadtteilen, in denen enge Wohnungen überbelegt sind, es nur einen Supermarkt für das gesamte Viertel gibt, in denen die Bewohner*innen auf den überfüllten ÖPNV angewiesen sind und die prekären Arbeitsverhältnisse kein Homeoffice zulassen, ein höheres Risiko für eine SARS-Cov-2 Infektion besteht,“ sagt Milli Schröder, Mitarbeiterin der Poliklinik Veddel.

Das Stadtteilgesundheitszentrum Poliklinik Veddel ist die einzige Anlaufstelle im Stadtteil, die seit Beginn der Pandemie kontinuierlich testet, das Monitoring der positiven Fälle übernimmt und täglich alle Fragen zum Thema Corona-Pandemie beantwortet. Umso verwunderter waren die Mitarbeiter*innen, dass sie nicht über die Massentestung an der Stadtteilschule Veddel informiert worden sind.

„Das ohnehin schon große Telefonaufkommen wurde noch mehr, viele Fragen von verunsicherten Eltern, deren Kinder mit einem positiven Test nach Hause kamen, haben uns letzte Woche erreicht“, beschreibt der Arzt Philipp Dickel von der Poliklinik Veddel die Situation.

Je länger die Pandemie andauert, desto stärker zeigt sich, dass es sich nicht nur um eine schwere gesundheitliche, sondern auch um eine schwere gesellschaftliche Krise handelt. Die Pandemie wirkt wie ein Brennglas auf die bestehenden eklatanten sozialen Ungleichheiten. Wer privilegiert ist, kann sich besser schützen. Ärmere Menschen sind dagegen häufiger Risikofaktoren für eine Infektion ausgesetzt und zeigen bei einer Infektion häufiger schwere Verläufe (https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.06.17.20133918v1). Aber auch die mittelbaren Folgen der Pandemie, wie Verluste beim Einkommen, treffen die Geringverdiener doppelt so häufig, wie Menschen mit hohem Einkommen. Die Corona-Krise verschärft Ungleichheit zwischen hohen und niedrigen Einkommen und verstärkt damit die Schere zwischen Arm und Reich, wie der neue Verteilbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) feststellt (https://www.boeckler.de/pdf/pm_wsi_2020_11_19.pdf). Arme Stadtteile wie die Veddel, die unabhängig von der Pandemie eine wesentliche höhere Morbidität für viele chronische Krankheiten aufweisen, als reichere Stadtteile Hamburgs, werden durch die Pandemie noch stärker benachteiligt.

Die Poliklinik Veddel fordert von der Hamburger Politik daher, nichtprivilegierte Stadtteile privilegiert zu schützen. Erste Schritte dahingehend müssen die Veröffentlichung kleinräumiger Daten zu Corona-Infektionen und Krankheitsverläufen, mehr kostenlose Testkapazitäten, eine an den Bedarfen orientierte Präventionsarbeit und die Bereitstellung von Quarantänewohnraum sein.

Darüber hinaus bedarf es einer Stärkung der Primärmedizin. Die öffentliche Debatte ist geprägt von Diskussionen über Intensivbetten und größeren Vorräten an Schutzausrüstung und Beatmungsgeräten. Das ist absolut nicht ausreichend. Um diejenigen nicht allein zu lassen, die gesundheitlich und existenziell von der Pandemie am stärksten betroffen sind, braucht es aus primärmedizinischer Sicht viel mehr. Es fehlen lokale, Setting-spezifische Strategien, um jeder*m die Hilfe zukommen zu lassen, die sie*er braucht. Das Förderprogramm zum Aufbau lokaler Gesundheitszentren durch die Hamburger Sozial- und Gesundheitsbehörde ist ein positiver erster Schritt hin zu einer Stärkung der Primärversorgung. Mit sieben gut ausgestatteten Primärversorgungseinheiten auf Bezirksebene, hätte der Hamburger ÖGD eine viel breitere Handlungsmöglichkeit hinsichtlich Testkapazität und Prävention. Allerdings sind die bisher bereitgestellten Mittel zur Etablierung der Zentren mehr als dünn und auch die Unterstützung mit Know-How nicht ausreichend. Hier muss zeitnah nachgebessert werden.

Wer Prävention in einer Pandemiesituation ernst meint, muss über Armut, Unrecht und Ungleichheit sprechen und diese bekämpfen.